Kriegsheimkehrern den Neustart ermöglichen

Warum Handelsschüler in einer alten Osnabrücker Fabrikanten-Villa wohnten

Von Joachim Dierks

Osnabrück. Privatschule und Internat Krüger verbindet man heute zutreffenderweise mit dem Standort Lotte-Wersen. Weniger bekannt dürfte sein, dass die Einrichtung vor 75 Jahren in Osnabrück gegründet wurde und hier auch bis 1967 blieb. Dann war der Neubau „auf der grünen Wiese“ an der Westerkappelner Straße in Wersen fertig, und die Schule zog um.

Gründungsidee vor 75 Jahren war, den vielen Kriegsheimkehrern einen beruflichen Neustart zu ermöglichen. Die jüngeren unter ihnen hatten bis dahin nichts anderes als das Kriegshandwerk gelernt. Damit konnten sie nach der Niederlage und der Demilitarisierung aber nichts mehr anfangen.

Fritz Krüger war Lehrer für Kurzschift und Maschinenschreiben. Er kehrte im Sommer 1945 selbst aus der Gefangenschaft nach Osnabrück zurück und erkannte unter seinen ehemaligen Kameraden einen großen Umschulungsbedarf. Kaufmännisches Rüstzeug erschien vielversprechend für eine Exisenzgründung in der neuen Zeit.

Fritz Krüger stieß auf ein kleines Nebengebäude im Hinterhof des Hauses Schnatgang 18, das für den Anfang geeignet erschien.

Schon im September 1945 versammelte er in dem acht Quadratmeter großen Raum die ersten sechs Schüler um sich. Bänke und Tische stammten aus einem Luftschutzkeller, für Wärme sorgte ein alter Bollerofen. Die Schüler waren gehalten, Brennmaterial selbst mitzubringen, wenn sie es warm haben wollten. Acht geliehene Kofferschreibmaschinen und eine ausgediente Wandtafel bildeten die Anfangsausstattung.

Fritz Krüger und seine Frau Ursula beschafften sich eine Baracke aus Wehrmachtsbeständen, um den wachsenden Zulauf bewältigen zu können. Anfang 1946 erhielten bereits 28 Kriegsversehrte Unterricht in kaufmännischen Fächern wie Buchhaltung, Steno und Maschinenschreiben. Hinzu kamen 35 Abendschüler, die sich berufsbegleitend fortbildeten.

1950 war die Zeit des Improvisierens vorbei. Mit dem Wiederaufbau des Hauses Schnatgang 22 standen der „Kaufmännischen Privatschule Krüger“ dort im Haupthaus fünf annehmbare Klassenräume zur Verfügung. 200 Tages- und 250 Abendschüler sorgten für guten Geschäftsgang, der vier Jahre später den nächsten Expansionsschritt nach sich zog: 1954 war die Kromschrödersche Villa an der Bergstraße „vom Engländer“, der sie beschlagnahmt hatte, freigegeben und stand zur Verpachtung.

Den Prachtbau mit allen Zutaten des Historismus, vom Wohnturm über Balkone, Säulengänge und Veranden bis zur großen Freitreppe hinein in den Park mit dem chinesischen Teehaus, hatte Gaszählerfabrikant Otto Kromschröder (1844 – 1916) in den 1880er-Jahren errichten lassen. Im Urteil vieler Osnabrücker war sie die schönste Villa der Stadt.

Der große Speiseraum mit Marmorauskleidung sollte den Rahmen für den festlichen Empfang für Kaiser Wilhelm I. abgeben, den Otto Kromschröder eingeladen und der sein Kommen auch schon zugesagt hatte. Doch dann zerschlug sich der Termin, der Name „Kaisersaal“ aber blieb bis in die Nachkriegszeit.

 

Wohnturm nachgebaut

In der Villa stand Fritz und Ursula Krüger nun so viel Raum zur Verfügung, dass eine Internatsunterbringng für auswärtige Schüler möglich wurde. Das Internat Krüger als Nebenbetrieb zur Handelsschule war geboren. Die Schlafräume gliederten sich in das „Unterhaus“, dem Hauptgebäude und das „Oberhaus“.

Das war ein rückwärtiger Anbau in direkter Nachbarschaft zur Osnabrücker Aktien-Bierbrauerei, der den älteren Schülern vorbehalten war. Aber auch das Wohnen im Turm war höchst attraktiv. Bei einem späteren Ehemaligen-Treffen rückte ein früherer Bewohner damit heraus, dass er aus Begeisterung den Turm originalgetreu auf seinem Grundstück nachgebaut hatte.

Unerwartet bewarben sich auch mehrere Mädchen um einen Internatsplatz. Aus „Sicherheitsgründen“ sollten sie nicht im selben Haus wie die männlichen Schüler untergebracht werden. Kurzerhand mieteten die Krügers ein weiteres Haus nahebei in der Werderstraße an. Die jungen Damen durften dann jeden Morgen den Bismarckplatz überqueren und zu den Schulräumen an der Bergstraße laufen. Die Hausordnung des Internats sorgte dafür, dass sich die Ausgangszeiten für Jungen und Mädchen nicht überschnitten.

Der Sohn des Gründers, Peter Krüger (67), hat viele Erinnerungen an die Zeit an der Bergstraße, weil er mit der Familie dort auch wohnte. Er erzählt von den „Krüger-Bullis“, deren Hauptaufgabe es war, auswärtige Schüler zum Bahnhof zu bringen und von dort abzuholen. Da zunächst auch ältere Schüler diese Kleinbusse fahren durften und einige sehr sportlich über die Wälle brausten, um neue Rekordzeiten bis zum Bahnhof zu schaffen, gab es Beschwerden von anderen Verkehrsteilnehmern. Wohin sie die Beschwerden zu adressieren hatten, war nicht zu übersehen, denn das Krüger-Werbelogo prangte unübersehrbar auf allen Fahrzeugflanken. Fortan durften nur noch der Chef selbst und seine Mitarbeiter die Bullis bewegen.

 

Suche nach neuer Bleibe

Eigentumer der Villa waren die Geschwister Julius und Amanda (Adda) Heywinkel. Ihre Absicht war es, auf dem Grundstück Bergstraße 31/33 ein Altenheim zu errichten, was dann später mit dem 1971 eingeweihten Heywinkel-Haus auch geschah. Über das Jahr 1967 hinaus bekam Krüger deshalb keine Verlängerung des Pachtvertrags. Man musste sich also nach einer neuen Bleibe umschauen, was gleichzeitig eine weitere Vergrößerung ermöglichte.

1967 war der Neubau „auf der grünen Wiese“ in Wersen fertig, und die Schule zog um. Peter Krüger erinnert sich, dass die alte Villa nicht sofort danach abgerissen wurde. Übergangsweise nisteten sich Obdachlose dort ein, die sich nachts mitunter lautstark bemerkbar machten. Im Herbst 1967, als die Internatsschule das Feld längst komplett geräumt hatte, meldete sich eines Abends die Osnabrücker Polizei bei Fritz Krüger und forderte ihn auf, seine Schüler besser in den Griff zu bekommen, da sich Bewohner am Westerberg laufend über Ruhestörungen „bei Krüger“ beschwerten. Die Sache war dann schnell geklärt.

1967 übernahm der Diplom-Handelslehrer Eberhard Mittag die Schulleitung. Er fand nicht nur Gefallen an der Arbeit, sondern auch an Fritz Krügers Tochter Petra. Die beiden heirateten, Petra Krüger-Mittag wurde Teil des Leitungsteams des familiär geführten Betriebs mit mittlerweile 40 Beschäftigten in Schule und Internat.

Im Internat waren die Mädchen weiterhin in einem separierten Gebäudeflügel untergebracht. Der männlichen Jugend Wersens blieb das nicht verborgen. „Sie kamen auf ihren Mopeds angeknattert und umrundeten den Mädchen-Block. Da war hier abends richig was los“, erinnert sich Mittag an die späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre.

Eberhard Mittag vergrößerte das Ausbildungsangebot mit Einführung der Höheren Handelsschule (Ziel: Fachabitur) und des Wirtschaftsgymnasiums (Ziel: Vollabitur). Die Kapazität des Internats liegt bei rund 70 Betten in Ein- und Zweitbettzimmern.

 

Heute Berufskolleg

Peter Krüger war von 1994 bis 2017 Schulleiter. Er ist weiterhin Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Krüger-Stiftung. Er trieb die weitere Differenzierung der Aus- und Weiterbildungsangebote zum „Berufskolleg Wirtschaft und Verwaltung“ voran und intensivierte die Kontakte zur heimischen Wirtschaft, die den Schülern unter anderem in Form von Praktika- und Ausbildungsplätzen zugutekommen.

Stolz ist die Schule auch auf das internationale Flair, das heute auf ihren Fluren herrscht. Die Aufnahme von jungen Leuten aus der ganzen Welt, deren Eltern es beispielsweise als Führungskräfte oder Wissenschaftler in die Region verschlagen hat, ist bei Krüger Tradition. In Intensiv-Sprachkursen wird auf die Leistungsniveaus von A1 bis B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens vorbereitet. Seit 2017 leitet André Soßna die Schule.

 

KRÜGER Internat und Schulen

Westerkappelner Straße 66

49504 Lotte

Telefon 05404 9627-0
Telefax 05404 9627-60
Homepage: www.internat-krueger.de
E-Mail: info@internat-krueger.de